Ein Film der Berliner Videokünstlerin Karin Bandelin
(DVD-Projekt, ca. 9 min., Farbe)
Das DVD-Projekt wurde 2014 unter anderem am Orginalschauplatz, dem Bahnhof Berlin-Grunewald realisiert. In der Zeit des Nationalsozialismus, zwischen 1941 und 1945, sind vom Gleis 17 des Bahnhofs Grunewald über 50.000 deutsche Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert worden (insgesamt fielen 6 Millionen Juden dem Holocaust zum Opfer). Zum Gedenken an die Holocaustvergangenheit des Bahnhofs wurde das berüchtigte Gleis 17 in den 1980er und 1990er Jahren als Mahnmal hergerichtet.
Der Film erinnert an die Holocaustvergangenheit des Bahnhofs. Zu Beginn zeigt der Film die durch das Tunnelgewölbe des Bahnhofs eilende anonyme Masse der Deportierten. Sie werden von Aufsehern zur Rampe am Gleis 17 getrieben. Dort warten die Todeszüge auf die Fahrt zu den Vernichtungslagern. Die gespenstige Szenerie des Unausweichlichen, das Schicksal so vieler Menschen, ihre Anonymität und das Unfassbare des Geschehens lässt die Künstlerin durch die dramatische Lichtgestaltung, die tiefliegende Position der Kamera, das Übereinanderlegen mehrerer Bildebenen (Mehrfachbelichtung) und die Dramatik des Geschehens unterstreichende Schnitttechnik aufscheinen. Im Hintergrund hört man das Geräusch der über die Schienen rumpelnden Güterzüge, in denen die Deportierten transportiert wurden.
Im expressiven Duktus der Dramaturgie nimmt der Film auf den Bericht eines Augenzeugen einer Selektion an der Bahnhofsrampe in Auschwitz Bezug. (Der Text wird im Film in 11 Sprachen wiederholt): „Es brannten Feuer. Sonst war es dunkel auf der Rampe. Alles vollzog sich rasch. Man trennte die Arbeitsfähigen und die Kranken und Schwachen nach rechts und links“ (1). Unmittelbar nach dem Eintreffen der Deportierten im KZ Auschwitz wurden auf der Rampe die Selektionen durch NS-Ärzte vorgenommen. „Sie entschieden durch Augenschein darüber, wer von den auf der Rampe aufgereihten wartenden Menschen unmittelbar getötet werden sollte und wer nicht. Vor allem Kinder, Alte und Kranke, Behinderte, Schwache oder Schwangere wurden zur Vergasung bestimmt“ (2).
Dieses traumatische und gespenstige Szenario eines Genozids, wie es in Auschwitz in nächtlicher, bedrohlich-existentieller Atmosphäre thematisiert der Film. Die Künstlerin zeichnet Opfer und die Täter anonym, wenngleich sie mit der zentralen Figur ihres Films, dem eitel auf der Rampe hin und her schwadronierenden NS-Schergen auf den berüchtigten Lagerarzt des KZ´s Auschwitz und Truppenarzt der Waffen-SS Josef Mengele anspielt. Im Film von Karin Bandelin ist die Symbolfigur des sadistischen KZ-Arztes Mengele mit einem schwarzen Wehrmachtsledermantel bekleidet, wie ihn NS-Funktionsträger trugen und auch die SS oder die Gestapo.
Mengele steht bis heute in der kollektiven Wahrnehmung für den Typ des pflichtversessenen Erfüllungsgehilfen der NS-Mordmaschinerie. Ein Bürokrat, der voller Karriereergeiz und nach eigenem Gutdünken über die Auslöschung von Menschenleben entschied. „Von Josef Mengele wird berichtet, dass er sich förmlich danach drängte, Selektionen vorzunehmen[…]“ Ein Augenzeuge sagte über ihn, Mengele habe eine Kolonne nach Auschwitz Deportierter an sich vorüber ziehen lassen und mit dem Daumen mal nach links, mal nach rechts gewiesen. Mit dieser Geste schickte er die einen in die Gaskammer, die anderen ins Lager (3).
Der Film changiert zwischen dem (imaginären) Raum der Vergangenheit und der heutigen Realität an Orten der Geschehnisse. In beklemmenden Bildern wird in diesem Kurzfilm nicht nur die Automatisierung und Industrialisierung des Holocaust thematisiert, sondern der Film vermittelt auch eine weitere Bedeutungsebene. Er verweist auf das selbständige und selbstherrliche Funktionieren einer Bürokratie in Deutschland, die sich in der NS-Zeit totalitär und bedingungslos einer menschenverachtenden Ideologie verschrieben hatte.
© André Lindhorst / Köppe Contemporary, 2014
Quellen:
Geboren in Hamburg
1970er
Studium am Hochschulfilmreferat der FU Berlin, Medizinstudium
1977
Kurzspielfilm „Student in Berlin“ Erstaufführung im Cinema Ostertor,
Bremen, Mitarbeit an verschiedenen experimentellen Kurzfilmprojekten
1977 – 1978
Dreh und Fertigstellung des Filmes „Achtung, Sie verlassen jetzt West-
Berlin“ (ca. 15min, 16mm, s/w ) Erstaufführung im „Arsenal 2“, Berlin
1978
Dreharbeiten für „Lil Picard bei Werner Kunze“
1979 – 1980
Assistenzarbeiten für Jan Dawson (Berliner Filmfestspiele)
1979
Filmschneidearbeiten für das Hochschulfilmreferat der FU Berlin, anatomische Lehrfilme, 16mm und Video, Farbe) sowie für Ulrike
Ottinger (Super 8 Format)
1981
Assistentin bei Hans C. Blumenberg in Kalifornien, Dokumentarfilm über alte Hollywood-Regisseure
1982
Regieassistentin bei Niklaus Schilling, „Der Westen leuchtet“, Spielfilm mit Armin Müller-Stahl
seit 1982
Wissenschaftliche Lehrfilme, Praxis- und Vortragstätigkeit in Berlin, Wien und anderen Städten, Ärztin für Homöopathie
seit 2000
Schwerpunkt auf Videokunst
lebt und arbeitet in Berlin
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